18.08.2025

René Herzer
"Wo soll ich meine KI-Systeme betreiben?" Diese Frage stellen sich CIOs täglich. Die Antwort scheint einfach: Cloud ist modern, skalierbar und kosteneffizient. Doch KI als vierter Layer der IT-Architektur bringt neue Anforderungen mit sich, die traditionelle Hosting-Entscheidungen auf den Kopf stellen.
Warum KI-Hosting anders ist
Bei traditioneller Software ist die Hosting-Entscheidung meist eine Kostenfrage: Cloud für Flexibilität, On-Premises für Kontrolle. Bei KI-Systemen kommen neue Dimensionen hinzu:
Datenresidenz wird kritisch: KI-Modelle benötigen kontinuierlichen Zugang zu Trainingsdaten. Wo diese Daten liegen dürfen, entscheidet oft über die Hosting-Option.
Compliance wird komplex: Ein KI-System, das Entscheidungen über Kreditvergabe oder medizinische Diagnosen trifft, unterliegt anderen regulatorischen Anforderungen als ein CRM-System.
Performance ist unvorhersagbar: KI-Workloads können sich spontan verzehnfachen, wenn komplexe Anfragen gestellt werden. Traditionelle Kapazitätsplanung versagt.
Die drei Hosting-Optionen im Detail
Cloud-KI: Schnell, aber mit Haken
Vorteile:
Sofortiger Zugang zu GPU-Kapazitäten
Managed Services für ML-Pipelines
Automatische Skalierung
Keine Hardware-Investitionen
Nachteile:
Daten verlassen das Unternehmen
Vendor-Lock-in bei spezialisierten Services
Unvorhersagbare Kosten bei intensiver Nutzung
Latenz bei großen Datenmengen
Passt zu: Startups, unkritische Anwendungen, Prototyping
On-Premises: Kontrolle um jeden Preis
Vorteile:
Vollständige Datenkontrolle
Compliance-Sicherheit
Vorhersagbare Kosten
Keine Abhängigkeit von Internet-Verbindungen
Nachteile:
Hohe Anfangsinvestitionen
Komplexes Hardware-Management
Begrenzte Skalierbarkeit
Expertise-Aufbau nötig
Passt zu: Banken, Gesundheitswesen, Behörden, Unternehmen mit sensiblen Daten
Hybrid: Das Beste aus beiden Welten?
Vorteile:
Sensible Daten bleiben intern
Cloud für Spitzenlasten
Schrittweise Migration möglich
Flexibilität bei verschiedenen Anwendungen
Nachteile:
Komplexe Architektur
Datenfluss-Management nötig
Doppelte Expertise erforderlich
Potentielle Sicherheitslücken an Schnittstellen
Passt zu: Große Unternehmen mit gemischten Anforderungen
Die Entscheidungsmatrix
Regulatorische Anforderungen
Gesundheitsdaten (DSGVO Art. 9): On-Premises oder zertifizierte EU-Cloud
Finanzdaten (MaRisk, Solvency II): On-Premises mit dokumentierten Ausnahmen
Personaldaten: Hybrid möglich, aber mit strikter Trennung
Geschäftsgeheimnisse: Abhängig von Unternehmenspolitik
Technische Anforderungen
Echtzeit-Entscheidungen: On-Premises für minimale Latenz
Batch-Verarbeitung: Cloud für Kosteneffizienz
Kontinuierliches Lernen: Hybrid für Flexibilität
Experimentelle Projekte: Cloud für schnelle Iteration
Organisatorische Faktoren
Vorhandene Expertise: Cloud bei fehlendem KI-Know-how
Investitionsbudget: Cloud für niedrige Anfangskosten
Langfristige Strategie: On-Premises für strategische KI-Systeme
Vendor-Präferenzen: Abhängig von bestehenden Partnerschaften
Praktische Entscheidungshilfen
Fragen, die Sie sich stellen sollten
Datenklassifizierung: Welche Ihrer Daten dürfen das Unternehmen verlassen?
Compliance-Anforderungen: Welche Auditoren müssen Sie zufriedenstellen?
Performance-Anforderungen: Wie kritisch sind Antwortzeiten?
Skalierungserwartungen: Wie stark wird die KI-Nutzung wachsen?
Expertise-Verfügbarkeit: Haben Sie KI-Operations-Know-how?
Typische Szenarien
Szenario 1: Mittelständische Bank
Anforderung: Kreditrisiko-Bewertung
Entscheidung: On-Premises
Grund: BaFin-Compliance, sensible Finanzdaten
Szenario 2: E-Commerce-Unternehmen
Anforderung: Produktempfehlungen
Entscheidung: Cloud
Grund: Skalierbarkeit, unkritische Daten
Szenario 3: Pharma-Konzern
Anforderung: Forschungsdaten-Analyse
Entscheidung: Hybrid
Grund: Sensible Forschungsdaten intern, Rechenpower aus Cloud
Die versteckten Kosten
Cloud-Fallen
Datenausgang-Gebühren: Transfer großer Datasets kann teuer werden
Spezialisierte Services: GPU-Instanzen kosten schnell 5-stellige Beträge monatlich
Vendor-Lock-in: Migration zwischen Cloud-Anbietern ist komplex und teuer
On-Premises-Realitäten
Hardware-Refresh: GPU-Technologie entwickelt sich schnell
Expertise-Kosten: KI-Operations-Spezialisten sind teuer und rar
Unterauslastung: Hardware steht oft ungenutzt herum
Hybrid-Komplexität
Doppelte Infrastruktur: Kosten für beide Umgebungen
Integration: APIs und Datenflüsse zwischen Umgebungen
Security: Schutz der Hybrid-Schnittstellen
Was wirklich funktioniert
Beginnen Sie mit einer klaren Datenklassifizierung
Bevor Sie über Hosting entscheiden, kategorisieren Sie Ihre Daten:
Öffentlich: Cloud ohne Einschränkungen
Intern: Cloud mit Verschlüsselung
Vertraulich: Hybrid mit strikter Trennung
Geheim: Nur On-Premises
Starten Sie mit Pilotprojekten
Cloud-First für Experimente: Neue KI-Anwendungen erst in der Cloud testen
On-Premises für Produktion: Bewährte Systeme intern betreiben
Hybrid für Skalierung: Spitzenlasten in die Cloud auslagern
Planen Sie Exit-Strategien
Vendor-Lock-in vermeiden: Standardisierte APIs und Datenformate nutzen
Migration vorbereiten: Dokumentation und Prozesse für Umzüge
Multi-Cloud-Strategie: Abhängigkeiten von einzelnen Anbietern reduzieren
Die strategische Dimension
KI-Hosting ist nicht nur eine technische, sondern eine strategische Entscheidung. Sie bestimmt:
Welche KI-Anwendungen Sie überhaupt umsetzen können
Wie schnell Sie auf neue Anforderungen reagieren können
Wie abhängig Sie von externen Anbietern werden
Die Hosting-Entscheidung heute prägt Ihre KI-Strategie für die nächsten Jahre. Wählen Sie nicht nur für heute, sondern für die KI-native Organisation, die Sie werden wollen.
Die Frage ist nicht "Cloud oder On-Premises?", sondern "Welche Hosting-Strategie ermöglicht unsere KI-Vision?" Die Antwort darauf ist individuell – aber sie sollte bewusst getroffen werden.
Dies ist der vierte Teil unserer Serie über KI-Integration jenseits von Pilotprojekten. Nächste Woche: Welche KI-Governance-Policies Sie wirklich brauchen und was darin stehen muss.
Bleiben Sie auf dem Laufendem